Dieser Beitrag stammt von den folgenden Autoren:
Bert Popping1, Carmen Diaz-Amigo1 and Richard Fielder2
1FOCOS ; 2BioCheck UK
Welche Mengen an Allergenen sind für Allergiker noch sicher oder tragbar? Soll ein Lebensmittel das teilweise Spuren von Allergenen (z.B. Milch) enthält als “enthält Milch” oder “kann Spuren von Milch enthalten” gekennzeichnet werden? Diese Fragen werden derzeit heiß diskutiert. Warum? Derzeit gibt es in Europa keine Werte für eine Spurenkennzeichnung von Allergenen. Und nun gibt es drei europäische Mitgliedsstaaten, in denen wissenschaftliche Ausschüsse verschiedene Mengen an Allergenen als unbedenklich festgelegt haben. Allerdings unterscheiden sich diese Mengen um einen Faktor von bis zu 100. Die Referenzdosen basieren auf unterschiedlichen Niveaus des Schutzes von Allergikern. Da auch Allergiker unterschiedlich empfindlich auf Allergene reagieren ist es nicht möglich alle Allergiker zu schützen. Man geht daher von prozentualen Werten aus. Ein ED01 entspricht dabei einem Schutz von 99% der Allergiker (nur 1% reagiert bei dieser Allergenkonzentration). Ein anderes, übliches Szenario ist das ED05 bei dem 95% aller Allergiker geschützt werden. Allerdings hängt auch bei Allergikern die Auslöseschwelle von verschiedensten Faktoren wie beispielsweise der Tagesform ab. Ein-und-derselbe Allergiker kann z.B. nach einem anstrengenden Waldlauf auf die gleiche Dosis Allergen stärker reagieren als wenn er keiner körperlichen Anstrengung ausgesetzt wurde. Zudem haben neue Arbeiten (Hourihane et al., 2017) die Festlegung der Auslöseschwellen in Frage gestellt.
Aber zurück zu den Referenzdosen in den europäischen Mitgliedsländern. Im Jahr 2014 haben die deutschen Behörden Referenzdosen und Aktionswerte festgelegt (Waiblinger and Schulze, 2018). Diese Werte sind an VITAL angelehnt. Die Aktionswerte sind Konzentrationen über denen die Behörden davon ausgehen, dass eine fehlerhafte Kennzeichnung vorliegt. Entsprechende Massnahmen kann die Feststellung sein, ob es sich um eine fehlende Zutat auf der Zutatenliste handelt oder ob es eine Kreuzkontamination ist.
Die von den Behörden beschlossenen Aktionswerte scheinen Lebensmittelherstellern und allergischen Verbrauchern akzeptabel. Es ist nicht immer offensichtlich, mit welchem Aufwand das Allergenmanagement in der Industrie verbunden ist. Und welches Risiko eines Allergeneintrags existiert hängt von der jeweiligen Produktionsstätte und den verarbeiteten Produkten ab. Eine Produktion vollständig allergenfrei zu halten ist in den meisten Betrieben schlichtweg nicht möglich. Und je mehr Reinigungsaufwand man treibt, desto höher steigen die Kosten. Es gilt also einen Kompromiss zu finden, der einerseits eine sinnvolle und kosteneffiziente Reinigung möglich macht, gleichzeitig aber auch die Mehrheit der Allergiker schützt. Wie er das macht bleibt bislang jedem Betrieb selbst überlassen. Sinnvolle, einheitliche Grenzwerte würden hier Sicherheit für den Lebensmittelproduzenten als auch für den Allergiker schaffen. Und in Deutschland ist das von den Behörden vorgeschlagene Konzept der Aktionswerte erfolgreich angenommen worden.
Zwei Jahre späte, 2016, entschloss sich der wissenschaftliche Ausschuss in Holland deutlich niedrigere Referenzdosen anzusetzen. Wie die sich daraus ergebenden, extreme niedrigen, Konzentrationen mit gegenwärtigen analytischen Verfahren nachweisbar sein sollen hat der Ausschuss allerdings nicht erklärt.
Kürzlich hat dann der wissenschaftliche Ausschuss in Belgien seien eigenen Referenzdosen festgelegt. Und diese unterscheiden sich sowohl von denen in Deutschland als auch von denen in Belgien. Insbesondere die von Belgien festgelegten Dosen für Erdnuss, Ei und Milch sind 10fach höher als die von Deutschland (Tabelle 1), und 100fach höher als die von Holland.
Tabelle 1. Vorgeschlagene Aktionswerte für Erdnuss, Milch und Ei in Deutschland, Belgien und Holland.
Abbildung 1 zeigt einen Überblick über die von den Ausschüssen in Deutschland, Belgien und Holland vorgeschlagenen Referenzdosen.
Abbildung 1. Vorgeschlagenen Allergen Referenzdosen in Deutschland, Belgien und Holland.
Die europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA hat bislang keine Referenzdosen empfohlen und wir dies auch voraussichtlich nicht tun solange das ThrAll Prjekt noch läuft (bis 2022), begleitet von der oft-vernommenen Aussage dass die Datenlage unzureichend ist. Dies hat eben auch dazu geführt, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten Ihre unterschiedlichen Referenzdosen Empfehlungen abgegeben haben. Dies führt nicht nur zu Verunsicherungen bei den Lebensmittelherstellern, sondern auch bei den allergischen Verbrauchern. Ist ein allergischer Verbraucher sicherer in Holland als in Belgien? Oder schränken die niedrigeren Referenzdosen in Holland die Auswahl an Lebensmitteln für allergische Verbraucher nur unnötig ein?
Werden wir bei Produkten die allergene Spuren enthalten und sowohl in Belgien als auch in Holland vertrieben werden, zwei holländisch/flämische Kennzeichnungen nötig werden – eine die für Holländer das Label ‘kann enthalten’ trägt, und eine zweite für Belgien – in gleicher Sprache – die den Hinweis auf ‘kann enthalten’ nicht trägt? Werden wir demnächst 28 verschiedene Empfehlungen für Referenzdosen haben – für jedes Mitgliedsland eine?
Die Debatte um unterschiedliche Referenzdosenempfehlungen in den drei europäischen Mitgliedsstaaten hat sicherlich mehr Fragen als Antworten aufgeworfen. Es ist aber unbestritten, dass dies einen unhaltbareren Zustand für Lebensmittelhersteller und betroffene Verbraucher darstellt und umgehend eine praktikable und harmonisierte Lösung geschaffen werden muss – und nicht erst im Jahre 2022.